‚Vorwort: Zu Spiritualität und Religion im Jenaplan heute
In der „pädagogischen Situation“ bei Peter Petersen gehört zur inneren Tätigkeit des/der Lernenden „Versenkung, Andacht, Beten“. Aber auch das vorgelagerte „Schauen“ ist Teil eines Lernens, welches das „Spirituelle“ wahrnimmt und aufnimmt. (Vgl. Petersen, Führungslehre des Unterrichts 1984, S.32 f.)
Unter den von Kees Both und Kees Vreugdenhil entwickelten 20 Basisprinzipien der Jenaplan-Pädagogik (jenaplan-heute.de > Basisprinzipien) wird in Basisprinzip 3 in allgemeinster Form die Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass zur Entwicklung einer eigenen Identität jedes Menschen Beziehungen zu der sinnlich wahrnehmbaren und zu der nicht sinnlich wahrnehmbaren Wirklichkeit gehören – mit Erfahrungen von Transzendenz. Dies entspricht der kindanthropologischen Aussage (besonders von David Hay), dass Spiritualität von Natur aus (besonders) den Kindern eignet. Darüber hinaus ist es Jenaplan-Auffassung – auch in unserem teilweise stark säkularisierten Westeuropa – dass sich jeder Mensch, jeder Schüler mit den „spirituellen“ Fragen im weitesten Sinne – durchaus auch kritisch – auseinandersetzen sollte.
David Hay, Palmer S. Parker, Kees Both wenden sich dezidiert der religiösen Erfahrung von Kindern und Erwachsenen zu und wie diese in einer aufgeschlossenen Schule erfragt, thematisiert, ausgetauscht, gelebt werden kann.
Die folgenden Texte der genannten englischen, amerikanischen und niederländischen Autoren, auch der Hinweis auf einschlägige Bücher von Oliver Kliss und Ralf Koerrenz deuten die ganze Spannweite der Thematik an. Hay stellt seine Oxforder interview-gestützten Untersuchungen zur Spiritualität von Kindern vor, Parker und Both zielen – bei aller theoretischen Durchdringung – auf eine Schul- und Unterrichtspraxis, die jener Identitätsentwicklung dient. Nicht „Religion“ als Vermittlung kirchlicher Dogmen, sondern Spiritualität als erfahrene Religiosität von Kindern ist im Blick. Hier tut sich für die Jenaplan-Schule eine Fülle von Möglichkeiten praktischer Umsetzung auf: Empfänglichkeit entwickeln, Haltung des Zuhörens einüben, mehrperspektivisches Sehen,
Momente des Staunens zulassen, dem Geheimnis der Dinge nachspüren;
„relationales Bewusstsein“ (Hay) gegenüber den eigenen Erfahrungen und religiösen Redeweisen, Wahrnehmung/Suche nach Verbundenheit mit den Welten von Natur und Geschichte;
miteinander teilen, was die betroffenen SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern wirklich beschäftigt;
narrative Kultur pflegen, empathische Gesprächsführung, Begegnungen ermöglichen;
Sinnfragen nachgehen in Gesprächen verschiedener Art;
Werte zur Sprache bringen, die Fragen des eigenen Lebens lieben und leben, Mut machen, Angst überwinden, Hoffnung bewahren;
Feiern zur Stärkung der Identität einzelner, auch der corporate identity von Schulgemeinden, ein heilsames Schulklima der Offenheit schaffen;
„Fürsorge“ für Andere und das Andere, aber auch für die eigene Innenseite;
erfahren und praktizieren anderer „Sprachen“ als es Worte sind: Rituale und Symbole, die Sprache der Musik, von Tanz und Bewegung, von visuellen und literarischen Bildern; „befreiende“ und „produktive“ Stille, Meditation, einladende Räume, andächtig Leben und Lernen;
aktiver Umgang mit Traditionen der Weisheit, einschließlich der biblischen;
existenzielles Gespräch zwischen Vertretern verschiedener Weltanschauungen und Religionen organisieren und einüben;
persönliches Bewusstwerden der sozialen und politischen Dimensionen der Spiritualität;
Kulturkritik und Kritik an einem Schulsystem bzw. einer Lernorganisation, die Angst fördert und authentisches Lernen unterdrückt.
Laut Ralf Koerrenz gibt es bei Petersen eine „religionsphilosophische“ Begründungslinie der Erziehung, die (auch) auf neutestamentlichen Aussagen beruht, wie „Führen“, “Dienen“, Gemeinschaft. Koerrenz weist auf den „Inszenierungscharakter“ der Jenaplan-Pädagogik hin: „Religion“ gehöre hier auch zur strukturbildenden Dimension des gesamten Lernsystems Schule, etwa durch Feiern mit Andacht und Liedern, Gemeinschaftsbildung, Reflexion ethischer Fragen, religiöser Erlebnisse in der Kunst, „Brechung“ der sonst üblichen Wertzuschreibungen über – im Rahmen statistischer Verfahren ermittelter -Leistungsfeststellungen.“ (Näheres hierzu: jenaplan-heute.de > Literatur >> Rezensionen).
Oliver Kliss beschreibt die Wandlung von Theorie und Praxis des Religionsunterrichts bei Petersen. (Siehe jenaplan-heute.de > Literatur >> Rezensionen).
Bei allem sollte klar sein, dass auch jede Form kirchlich geprägter Religionsvermittlung letztendlich auf spirituelle Erfahrungen zurückgeht. Die oben beschriebenen schulische Praxisbeispiele von Spiritualität sind auch Ergebnisse einer ökumenischen Haltung, wie wir sie in Deutschland besonders aus den Schriften von Publik-Forum kennen.
Beiträge zu biblisch begründeten Haltungen der Spiritualität,
durch Lernen in und durch Begegnung, jenaplan-heute.de > Basisaktivitäten >> Gespräch: Hartmut Draeger, Dialogisches Lernen im Tempel (Luk. 2, 41-52),
durchVerbundenheit und Anerkennung im „Spiel“ : jenaplan-heute.de > Basisaktivitäten >> Spiel: Hartmut Draeger, Die spielenden Kinder auf dem Marktplatz (Matth.11,16-19)
Zum Downloaden:
David Hay (2002), Die Spiritualität von Kindern
Download pdf
Parker S. Palmer (1999), Den Geist in der Schule zum Leben erwecken
Download.pdf
Kees Both (1999), Stille in der ‚pädagogischen Schule‘
Kees Both (1999), Spiritualität im ‚Rosengarten‘
Download pdf
Kees Both (1992), Zu sich kommen
Download pdf
Kees Both (2011), Andacht als moralische und spirituelle Haltung
Rezensionen von H.Draeger zu Koerrenz und Kliss (s.o.);
Draeger: Beiträge zu biblisch begründeten Haltungen der Spiritualität (s.o.)
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